Um Preise oder Stipendien zu vergeben, braucht der Freundeskreis Jurys, die bereit sind, die Bewerbungen zu sichten und zu bewerten. Aber wie beurteilt man eine Übersetzung? Was muss man beachten? Dies Frage stellen sich nicht nur erstmals in eine Jury Berufene, sondern auch Juror:innen mit langjähriger Erfahrung.
In zwei ausführlichen von den WortErben gGmbH initiierten Workshop-Runden wurde gebrainstormt und protokolliert. Das Material wird von Helga Pfetsch und Karen Nölle aufbereitet und nach und nach auf dieser Seite abzurufen sein. Der Anfang ist gemacht. Hier schon einmal die ersten Punkte.
Übersetzerpreise vergeben – Handreichungen für die Arbeit von Übersetzerpreis-Jurys
In einer Jury mitzuarbeiten hat zwei Seiten. Es kostet Zeit. Unsere Jurymitglieder müssen bereit sein, eine Vielzahl von Büchern sorgfältig zu lesen und die Qualität der jeweiligen Übersetzung zu beurteilen. Ihnen obliegt die Verantwortung, aus den Einreichungen die preiswürdigste herauszufiltern und ihre Entscheidungen angemessen zu begründen und zu vertreten. Das ist die eine Seite. Die zweite: Es macht Freude. Die hingebungsvolle Arbeit von Übersetzenden, — unseren Kolleginnen und Kollegen — zu fördern. Ihre Werke im Kreis kompetenter Fachleute textkritisch/bewundernd zu diskutieren schärft den Blick für Qualität und kann die eigene Arbeit bereichern. Und es ist einfach schön, besondere Leistungen zu würdigen, durch Anerkennung, durch Sichtbarmachung in der Öffentlichkeit und nicht zuletzt durch ein Preisgeld, das wiederum den Auserwählten Zeit schenkt, für noch mehr gute Arbeit oder gar Erholung.
Zur Größe und Zusammensetzung von Jurys
In der langen Geschichte der Freundeskreis-Übersetzerpreise haben sich fünf-köpfige Jurys mit Moderation – in der Regel durch die Freundeskreis-Präsidentin – bewährt. Sie sichten und diskutieren die Einreichungen und treffen schließlich eine gemeinsame Entscheidung.
Gern besetzen wir unsere Jury mehrheitlich mit Übersetzer:innen. Sie sind aus ihrer alltäglichen Arbeit, aus ihren Fortbildungen, Workshops und Seminaren das Streben nach der besten, treffendsten, geglückten Übersetzung auf der Wort-, Satz- und Bedeutungsebene gewöhnt, und auch gewöhnt daran, rhythmische, klangliche und stilistische Eigenheiten des Originaltexts wahrzunehmen und dafür Entsprechungen im Deutschen zu finden – und können ihr so gewachsenes Empfinden für gelungene Entscheidungen in der Juryarbeit zur Beurteilung der Übersetzungen anderer nutzen.
Ergänzend zu den Übersetzer:innen werden Journalist:innen und/ oder Übersetzungswissenschaftler:innen berufen.
Kriterien für die Preiswürdigkeit einer Übersetzung
Vorwissen und Expertise der Jury nutzen
Jede Jurorin, jeder Juror wird von Beginn der Lesephase an schon etwas wie ein innerliches Raster für die Beurteilung aktivieren, bewusst oder unbewusst. Als anregend und hilfreich können wir deshalb empfehlen, zu Beginn der Arbeit die Juror:innen zu bitten, die für sie wichtigen Kriterien der Beurteilung einer preiswürdigen Übersetzung zu notieren und in die Juror:innen-Runde zu stellen. Die Sammlung aller genannten Kriterien wird nun als Liste allen Jurymitgliedern zugemailed und wird schon an diesem Punkt die Lektüre der Einreichungen anregen und unterstützen.
Beobachtungen kommunizieren und Einschätzungen begründen
Für die Vorbereitung einer Shortlist wird für die Mitglieder der Jury die Frage konkret: Mit welchen Beobachtungen kann ich meine Einschätzung der Preiswürdigkeit belegen?
Als Weg, um hier für sich selbst zu kommunizierbarer Klarheit zu kommen, kann eine Anzahl von Fragen hilfreich sein, die eine Arbeitsgruppe von Kolleg:innen in einem zweiteiligen Workshop 2023 und 2024 zusammengestellt haben. Hier eine erste Kriterienliste. Wir stellen sie auch als PDF zur Verfügung, siehe Link unten.
- Stimme, Ton, Eigenwilligkeit/Originalität
Wird in der Übersetzung ein spezifischer Ton, eine eigene Welt geschaffen? Woran erkenne ich das?
- Konsequenz/Konsistenz
Wird der Ton durchgehalten, trägt der Ansatz? Ist die Übersetzung ein in sich stimmiges Sprachgebilde? Steht und spricht der Text für sich?
- Stilistisches
Wie geht die Übersetzung mit Syntax, Dialogen, Witz um?
- Bilder, Rhythmus, Klang
Wie arbeitet die Übersetzung auf dieser Ebene? Welche Sinne spricht sie an, mit welchen Mitteln?
- Differenziertheit
Sind unterschiedliche Sprachebenen, Stilregister, Stimmen konturiert? Sprechen Figuren unterschiedlich? Gibt es eine Entwicklung innerhalb des Textes?
- Kreativität, Reichtum der Gestaltungsmöglichkeiten
Was überrascht an Sprache und Stil der Übersetzung? Wodurch wird das Deutsche erweitert/ bereichert?
- Leichtigkeit, Beweglichkeit, Fluss
Überzeugt die Sprachwelt der Übersetzung? Bewegt sie sich frei, und kann ich mich als Leserin darin frei bewegen?
- Gedankliches
Wie überzeugend werden Argumente entwickelt, wie „sitzt“ die Rhetorik?
- Umgang mit Intertextualität
wurden Zitate erkannt, recherchiert, adäquat wiedergegeben?
- Komposition des Ganzen
Wie hält das Werk im Deutschen zusammen?
Handreichung zur Juryarbeit I zum Download
Ein Projekt wie dieses darüber, was gute Übersetzungsjurys ausmacht, braucht Mitdenker und -gestalter. Der Freundeskreis dankt der WortErben gGmbh für die Idee, die gemeinsame Durchführung und die Finanzierung unseres Workshops zur Entwicklung von Ideen für unsere Handreichungen sowie den Teilnehmern der beiden Sitzungen: Ulrich Blumenbach, Petra Bös, Albrecht Buschmann, Bärbel Flad, Andreas Jandl, Christiane Körner, Miriam Mandelkow, Stefanie Ochel, Olga Radetzkaja, Jan Schönherr, Rosemarie Tietze, Karin Uttendörfer für ihre Zeit und ihre Beiträge; den Moderatorinnen der beiden Workshops Karen Nölle und Rosemarie Tietze und Helga Pfetsch für die Protokolle, die uns als Grundlage für die Weiterarbeit dienen. Einen besonderen Dank zudem an Albrecht Buschmann, Christiane Körner, Olga Radetzkaja für ihre Beiträge zu den Handreichungen, von denen die obige unsere erste ist.
Ein Gespräch zum Thema zwischen Karen Nölle und Helga Pfetsch ist soeben in der Zeitschrift Übersetzen erschienen: https://zsue.de/heft/uebersetzen-02-2024